Interview

Pflanzenbetonte Ernährung der Zukunft – aber bitte mit Joghurt

Joghurt ist fester Bestandteil vieler europäischer Esskulturen. Warum er in die pflanzenbetonte Ernährung der Zukunft gehört und welche Studienergebnisse zu Alternativprodukten überraschen, erklärt Diplom-Ökotrophologin Dr. Silke Lichtenstein.

Joghurt ist fester Bestandteil in Küchen und Kulturen in ganz Europa. Auch in Deutschland ist die Sauermilchspeise beliebt, der Konsum steigt jährlich. Gleichzeitig drängen immer mehr Joghurt-Alternativen auf den Markt. Wie sind sie zusammengesetzt und was hat Joghurt ihnen voraus? Diplom-Ökotrophologin Dr. Silke Lichtenstein und ihre Kolleg:innen wollten genau das wissen. In einer beschreibenden Studie haben sie über 50 pflanzliche Alternativen für Joghurt unter die Lupe genommen – das Ergebnis überrascht.

Dr. Lichtenstein, was hat Sie zu einer gezielten Joghurt-Studie bewogen?

Das Angebot an Milchprodukt-Alternativen ist sehr groß. Gerade beim Joghurt ist das Sortiment inzwischen oft breiter als beim Naturjoghurt. Allein in unserer Stichprobe haben wir 53 Sorten analysiert. Die Hersteller scheinen sich mit Produkten und Rezepturen noch vorzutasten, denn bezogen auf den Umsatz sprechen wir hier noch über Nischenprodukte. Beim Blick auf die teils ellenlangen Zutatenlisten haben wir uns gefragt: Welche ernährungsphysiologischen Eigenschaften haben diese Produkte und wie stehen sie im Vergleich zu Milchprodukten da? Denn mit Blick auf die Nährstoffe sind Joghurt-Alternativen in der Wissenschaft noch kaum untersucht. Infolgedessen gibt es sowohl bei Verbraucher:innen als auch bei Fachleuten großen Informationsbedarf. Also haben wir uns die Zusammensetzung und Nährwerte von Bio- und konventionellen Produkten angeschaut und sie auf ernährungswissenschaftlicher Basis bewertet.

Welche Erkenntnisse aus Ihrer Studie haben Sie am meisten überrascht?

Was uns besonders beeindruckt hat, ist die Vielfalt der Rezepturen. Die Alternativprodukte sind teilweise sehr kreativ, echte Produktinnovationen. Das macht sie aber auch zu einer Blackbox. Ohne die Zutatenliste zu lesen, lassen sie sich kaum einschätzen. Beim Joghurt wissen wir, da sind zwei Zutaten drin: Milch und Bakterienkulturen. Wer Joghurt hört, hat sofort eine Vorstellung von Konsistenz, Geschmack und beispielsweise den ungefähr enthaltenen Kalorien. Die Alternativen mit bis zu 17 Zutaten kann man weniger gut einschätzen. Im „Kokos-ghurt“ ist zum Beispiel noch Erbse mit drin, die Hafer-Alternative enthält Kokosöl. Da fragt man sich: Will man das? Kokosöl bringt einen gewissen Anteil gesättigter Fettsäuren mit, die man im Hafer ja nicht vermuten würde. Im Joghurt aus Milch weiß ich auch ohne Zutatenliste, was drin ist.

Sind die Alternativen also gar nicht vergleichbar mit Naturjoghurt?

Doch. Optisch und in der Konsistenz sind sie schon ähnlich. Hier haben sich die Hersteller viel Mühe gegeben, Produkte zu designen, die küchentechnisch erstaunlich nah an Naturjoghurt heranreichen, sprich, die sich im Müsli oder Dressing genauso verwenden lassen. Alles andere aber, Zutaten und Nährwerte, weichen oft sehr weit ab. Auch deswegen lassen sich aktuell keine gesundheitsorientierten Empfehlungen zum Verzehr der Joghurt-Alternativen formulieren. Dafür ist es noch zu früh. Aktuell müssen sich Verbraucher:innen deshalb noch selbst mit den Produkten und Zutatenlisten auseinandersetzen. Dazu kommt, dass sich die Rezepturen weiterentwickeln. Daher sind die Produkte, die wir 2022 für die Studie untersucht haben, bereits 2024 teilweise aus dem Supermarktregal verschwunden oder haben eine andere Zusammensetzung. Das erschwert eine Orientierung beim Einkauf oder in der Beratung zusätzlich.

Gemeinsam für ein nachhaltiges Europa

“Yoghurt, it’s great inside” ist ein von der EU co-finanziertes Programm des European Milk Forums (EMF). Ziel ist es, gemeinsam die nachhaltige Lebensmittelproduktion in Europa transparent zu machen und tatkräftig zu unterstützen.

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Welche Alternative kommt dem Naturjoghurt nach jetzigem Stand am nächsten?

Auf der Rohstoffebene sind das sicherlich die Sojaprodukte. Manche Biovarianten bestehen genau wie das Milchprodukt nur aus Soja und Joghurtkulturen. Damit sind sie im Gesamtergebnis tatsächlich vergleichbar mit Joghurt aus Kuhmilch. Dennoch ist auch bei den Sojaprodukten der Fett- bzw. Proteingehalt niedriger als der von Vollmilchjoghurt. Gleichzeitig gibt es übrigens im Naturjoghurt-Angebot am Markt eine Tendenz, den Proteingehalt natürlich anzuheben, etwa durch Abtropfen, das ist zu erkennen an der Bezeichnung „Joghurt griechischer Art“.

Kann der „Soja-ghurt“, also eine Alternative auf Soja-Basis, ein echter Joghurt-Ersatz sein für Menschen, die keine Milchprodukte konsumieren wollen oder können?

Wir vermeiden den Begriff „Ersatzprodukte“, weil er den Produkten nicht gerecht wird und derzeit kein Alternativprodukt einen echten Ersatz für Naturjoghurt darstellt. Vielmehr sehen wir sie als zusätzliche Optionen, die durchaus einen Platz im Lebensmittelangebot verdienen, beispielsweise für Menschen mit Allergien oder auch mit entsprechenden Überzeugungen. Das spricht für den Begriff Alternative statt Ersatz. Verbraucher:innen muss aber immer klar sein, dass die entscheidenden Mikronährstoffe in der Milch, wie Calzium, Vitamin D und B12, den Alternativprodukten nicht immer bzw. nicht in adäquater Dosis enthalten sind oder zugesetzt werden. So waren jedenfalls unsere Befunde. Bei biologischen Varianten ist ein Zusatz sowieso ausgeschlossen. Unser Gesamtfazit der Studie war: Der Großteil der Alternativen hat ein völlig anderes Nährstoffprofil, das nicht vergleichbar ist mit dem von Milchprodukten.

Warum werden es die Alternativen nicht schaffen, den Naturjoghurt abzulösen?

Unser Fazit soll keinesfalls bedeuten, dass wir die Alternativen für ablehnenswert befunden haben. Im Gegenteil. Die neuartigen Zusammensetzungen können mit Blick auf die Diätetik für manche Menschen durchaus sinnvoll sein. Dem erhöhten Energiebedarf z. B. von älteren Menschen kommt ein hoher Fett- und Energiegehalt von Kokos-Alternativen entgegen. Abgesehen davon gibt es beim Joghurt aber auch andere positive Aspekte, neben dem Protein-, Kalzium- und Vitamingehalt ist das die Milchsäure.

Die pflanzlichen Produkte werden für einzelne Zielgruppen immer eine Alternative zum Naturjoghurt bleiben, vielleicht auch nur ab und zu. Genauso gibt es auch viele Verbraucher:innen, in deren Esskultur der Joghurt fest verankert ist. Wenn wir etwa den Fleischkonsum künftig reduzieren wollen, sind Joghurt und andere Milchprodukte eine wichtige Proteinquelle.

Inwiefern ist Joghurt Teil unserer kulturellen Identität?

Alle Kulturen, die Rinder halten, haben haltbare Milch schon lange in ihrer Esskultur integriert. Das gilt auch für Deutschland. Durch den esskulturellen Austausch gibt es in Deutschland heute deutlich mehr Vielfalt in den fermentierten Milchprodukten. Früher gab es bei uns vor allem Quark, Käse und die gute alte Sauer- oder Dickmilch. Heute genießen wir Skyr aus Island, Ayran aus der Türkei, Lassi aus Indien oder Gerichte der Levante-Küche aus dem Nahen Osten. Da ist Joghurt praktisch ein fester Bestandteil.

Wie werden sich die Essroutinen mit Joghurt in Deutschland verändern?

Kuhmilch-Produkte sind universell einsetzbar. Speziell Joghurt hat nicht nur seinen kulturellen Bestand, sondern auch eine charakteristische Nährstoffstruktur und Geschmack. Wir genießen ihn salzig und süß, im Alltag und in der Zubereitung ist er einfach sehr variabel. Ich denke, dass Joghurt kulturell weiter Bestand haben wird. Gleichzeitig werden sich pflanzliche Alternativprodukte etablieren – aber es werden wahrscheinlich eher Alternativen bleiben.

Über die Expertin

Dr. Silke Lichtenstein war schon immer fasziniert von allem, was den Menschen und seine Ernährung ausmacht. Diese Leidenschaft hat die Diplom-Ökotrophologin und Gastronomie-Betriebswirtin zu ihrem Beruf gemacht. Sie ist Geschäftsführerin und wissenschaftliche Leiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung, die als unabhängige wissenschaftliche Dialogplattform alle Expert:innen fördert, die mit dem Thema gesunde Ernährung befasst sind.

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