Heike Zeller im Interview

Von der Käse-Sommelière zum Milch-Profi

Die Regionalvermarktungs-Beraterin Heike Zeller erzählt von ihren Aha-Erlebnissen in der Milch-Sommelier-Ausbildung.

Frau Zeller, warum wollten Sie Milch-Sommelière werden?

Ich komme aus dem Oberallgäu, dem absoluten Milchland. Dort bin ich neben dem Hof meines Onkels großgeworden. Später habe ich auf einigen Almen gearbeitet, also Bauernhöfen in den Bergen. So habe ich die Milch-Herstellung-prozesse auf der urigen Alp von der Pike auf gelernt und wollte mich weiterbilden.

Heute bin ich Beraterin in der Regionalvermarktung, meine Kunden sind Landwirt:innen sowie kleinere und größere Unternehmen der Ernährungsbranche. Ich vermittle meine Themen rund um regional erzeugte Lebensmittel zudem über Workshops und moderiere Veranstaltungen mit landwirtschaftlichem Bezug. Da kann ich nie genug Milch-Wissen haben. Schon den Käse-Sommelier habe ich mit Begeisterung gemacht und wollte danach noch mehr wissen. Als ich von der Milch-Sommelier-Schulung hörte, dachte ich sofort: Das will ich machen und mich intensiver mit dem beschäftigen, was ich liebe.

Wie war die Weiterbildung, hat sie Ihre Erwartungen erfüllt?

Warenkunde, Prozesse, Herstellung, Landwirtschaft – der gesamte Milchkosmos wurde vor uns ausgebreitet. Die Referent:innen waren fachlich top und die Teilnehmenden sehr motiviert, eine wirklich runde Sache. Wir haben in der Gruppe sehr viel diskutiert und viele Fragen gestellt, auch zu politischen Themen. Der Themenblock „Milch versus Pflanzendrinks“ mit der Ernährungswissenschaftlerin Dr. Karin Bergmann war besonders intensiv. Das Pflanzendrink-Thema war vielen Teilnehmenden ein sehr wichtiges Anliegen. Denn es herrscht viel Unsicherheit, wie man mit Kritik umgehen soll. Es fehlen einem manchmal die richtigen Worte oder Studienbelege. Die Fachreferenten haben uns fundierte Argumente an die Hand gegeben, um für die Milch zu sprechen.

Welchen Aspekt des Seminars fanden Sie am spannendsten?

Hochspannend fand ich den Themenblock zu Milch und Gesundheit: Die Referentin, Professorin Erika von Mutius von der Universitäts-Kinderklinik in München, hat von ihren Bauernhof-Studien erzählt. Nach jahrzehntelanger Forschung konnten sie feststellen, dass Kinder, die mit Rohmilch aufgewachsen und einem Stallklima ausgesetzt sind, ein viel geringeres Risiko haben, an Asthma und Allergien zu erkranken. Professorin Mutius und ihre Forschung haben mich wirklich fasziniert.

Spannend fand ich auch die verschiedenen Sensorik-Tests. Wir mussten die Milchen nach ihrem Fettgehalt sortieren, also die Rangfolge erschmecken, oder „Off-Flavors“ herausfinden. Das sind Fehlgeschmäcker, wenn die Milch zum Beispiel sauer ist. Diese unterschiedlichen Nuancen zu benennen, erinnerte mich ein wenig an meine Käse-Sommelier-Ausbildung.

Inwiefern?

Damals hatte uns eine Dozentin von einem Forschungsprojekt erzählt, in dem versucht wurde, einen weltweiten Begriffskanon für Geschmäcker festzumachen. Da kam unter anderem heraus, dass es in Japan besonders viele Wörter für Konsistenzen gibt, etwa für „schleimig“ oder „bröckelig“. Solche Beschreibungen benutzen wir Deutschen für Lebensmittel weniger. Sensorische Begriffe in Übereinstimmung zu bringen, finde ich sehr spannend.

An der Milchwissenschaftlichen Untersuchungsanstalt (muva) in Kempten wird derzeit solch ein Begriffskanon für Milch entwickelt. In der Milch-Sommelier-Ausbildung durften wir damit arbeiten, um zu schauen, ob er sich in der Praxis bewährt. Wenig überraschend: Bei der Milch stehen wir noch ganz am Anfang.

Was haben Sie Neues in der Milch-Sommelier-Weiterbildung gelernt?

Was ich in der Tiefe so noch nicht kannte, waren die industriellen Produktionsprozesse. Was passiert mit der Milch zwischen dem Melken und dem Supermarktregal? Einen echten Aha-Moment hatte ich beim Thema Herstellungsverfahren: Milch wird in der Molkerei erst in Magermilch und Rahm getrennt und dann mit dem gewünschten Fettgehalt wieder zusammengesetzt. So entstehen unterschiedliche Erzeugnisse. Milch ist wirklich ein Wunder, wenn man sich anschaut, was alles aus ihr entsteht.

Auch Sie haben also noch neue Seiten an der Milch entdeckt?

Insgesamt fand ich die vielschichtigen Hintergründe der Milchwirtschaft spannend, vom Einfluss der Rinderrasse auf die Milchqualität bis zu den Auswirkungen aufs Klima. Wenn man so will, haben wir die komplette Geschichte der Milch von A bis Z gelernt. Denn als Sommelière musst Du ein hochwertiges Produkt bis ins Detail beschreiben können: Was macht es aus, was steckt drin, woher kommt es? Dabei kommt es auf gutes Storytelling an. Erst dadurch erreicht man die Menschen. Im Restaurant erzählt der Wein-Sommelier auch nicht nur, welche Farbe der Wein hat und wie der Abgang ist, sondern von welchem Boden die Rebe stammt, in welchen Fässern der Wein gereift ist und so weiter. Es geht darum, eine anschauliche, packende Geschichte zu erzählen.

Apropos Ernährung: Heute wird viel von „Superfood“ gesprochen – würden Sie Milch auch als solches bezeichnen?

Auf jeden Fall. Man vergisst in der Diskussion oft, dass Milch ein vollwertiges Nahrungsmittel ist, mit dem wir schon so lange leben. In dem Zusammenhang fand ich auch spannend, was Frau Wriedt bei ihrer Vorstellung der Initiative Milch gesagt hat: In rund 90 Prozent der Haushalte finden wir Milchprodukte. Alle konsumieren sie und fühlen sich gut damit. Und trotzdem ist ein gewisser Druck in der Branche zu spüren. Die Kritik, dass Milch ungesund und klimaschädlich sei, auch die Tierwohl-Diskussion – das geht den Menschen in der Branche an die Nieren. Ich war schon auf sehr vielen Milchhöfen, und weiß, wie es dort zugeht und wie gut es den Tieren geht. Und ja, es gibt schwarze Schafe, aber es wird immer so dargestellt, als ob es allen Kühen schlecht geht. Das habe ich ganz anders erlebt. Die Landwirt:innen kümmern sich liebevoll und arbeiten sich die Finger wund für die Tiere. Und trotzdem hört man immer nur „Aber die armen Kälber…“. Das macht etwas mit den Bäuerinnen und Bauern. Auch darüber haben wir uns intensiv ausgetauscht.

Was erhoffen Sie sich von diesem Wissen für Ihre Arbeit?

Ich habe die Milch-Sommelier-Ausbildung primär gemacht, weil sie mich interessiert hat. Da ich mich in der bäuerlich geprägten Lebensmittelbranche bewege, bekomme ich immer wieder Anfragen zum Thema Milch. Erst recht, seitdem ich meinen Milch-Sommelier-Titel auf Social Media geteilt habe. Die Leute schreiben mir, dass sie sich freuen, dass sich jemand für die Milch einsetzt. Ich wurde schon für ein Expert:innen-Interview einer regionalen Initiative angefragt und für einen Vortrag bei einer Landfrauen-Veranstaltung zum Thema „Milch und Milchalternativen“. Der Milchsommelier wird teilweise noch belächelt – was soll man denn da schmecken? – aber man wird auch als Expert:in für Milch-Themen angesehen. Und das wird sehr positiv aufgenommen.